Bin ich selbstständig genug, um für einige Monate ohne meine Familie und außerhalb meines bekannten Umfeldes zurechtzukommen? Bin ich fähig dazu, mich an eine neue Realität anzupassen und in ihr zurechtzukommen? Werde ich es schaffen, bei einer fremden Familie und in einer fremden Schule Anschluss zu finden? Dies alles sind Fragen, die sich der Großteil der an einem Austausch interessierten Jugendlichen stellt.
Es waren auch Fragen, die ich mir vor meinem dreimonatigen Auslandsaufenthalt in Spanien stellte. Doch in diesen drei Monaten habe ich gelernt und heute weiß ich, dass die Zweifel bezüglich des Anschlusses an Freunde, Familie und Kultur in einem Land wie Spanien geradezu unnötig sind. Ich hatte die Möglichkeit, diese tolle Erfahrung in der bildschönen Stadt Sevilla im Süden Spaniens zu machen. Nie zuvor habe ich in so kurzer Zeit so viele offene und interessierte Personen kennengelernt. Die spanische Gesellschaft ist laut, lustig, offen und unglaublich liebenswürdig; dies gilt insbesondere für den Süden. Als ihren Gast wollen sie dich schnell integrieren, dich von ihnen lernen lassen, aber auch von dir lernen. Voller Leidenschaft und Stolz möchten sie dir mit Freude die schönen und sonnigen Seiten ihrer Städte und Kultur präsentieren. Deine wichtigste Aufgabe von diesem Punkt aus ist nur noch, dich ihnen zu öffnen oder gar mit derselben Offenheit auf sie zuzugehen, sie mit derselben Liebenswürdigkeit zu empfangen und das Selbstbewusstsein zu haben, dich mit ihnen zu unterhalten, zu erzählen und ihnen zuzuhören.
Meine Gastfamilie war typisch spanisch. Ich wohnte mit meinen Gasteltern und deren 28-jähriger Tochter zusammen. Doch abgesehen von ihnen war das Haus täglich voll mit Besuchen der Kinder, Enkel, Onkeln und Tanten, die einen alle herzlich empfingen. So haben mich meine Gasteltern schnell Teil ihres Alltags sowie ihrer Familie werden lassen und ich hatte, solange ich mich an die gegebenen Regeln hielt, sehr viel Freiraum, was ich in vollen Zügen genoss.
Den größten Teil meiner Freundschaften habe ich in der Schule geschlossen. Lehrer wie Schüler waren hier sehr unterstützend und eine große Hilfe in vielerlei Hinsicht. Ich besuchte eine katholische, private, sehr familiäre Schule, ohne dabei selbst katholisch zu sein. Ein markanter Unterschied zu meiner deutschen Schule war, dass Wertevermittlung einen sehr hohen Stellenwert hatte und Lehrer viel mit den Jugendlichen über Themen wie Respekt, Gemeinschaft, etc. geredet haben. Dadurch bedingt und auch weil die Schüler schon seit Primaria, also ihrem fünften Lebensjahr, gemeinsam die Schule besuchten, existierte ein sehr großer Zusammenhalt und enge Freundschaften in den jeweiligen Klassen, was ich als sehr angenehm empfand. Die Fächer waren insgesamt sehr ähnlich zu den deutschen, auch wenn der Unterricht und Stoff mir etwas einfacher als in Deutschland vorkamen. Trotzdem war die Schule insgesamt, aufgrund der fremden Sprache, für mich auf dem gleichen Schwierigkeitsgrad. Wenn ich einmal den Erklärungen im Unterricht nicht folgen konnte oder andere Verständnisschwierigkeiten hatte, haben die Lehrer Rücksicht gezeigt und sich die Zeit genommen, mir alles nochmal genauer zu erklären.
Dank der Offenheit meiner Mitschüler konnte ich schon seit dem ersten Wochenende vom Nachmittag bis in die Nacht an den jeweiligen, für meine spanischen Freunde typischen Aktivitäten teilhaben. Mir wurden landestypisches Essen, Sehenswürdigkeiten der Stadt sowie kulturelle Tänze, spanische Musik und auch die spanische Art zu feiern vorgestellt. Aber vor allem habe ich bezaubernde Menschen aus einer anderen Kultur kennengelernt. Ich habe dank ihnen viel gesehen, erlebt und sprachlich, aber viel mehr noch charakterlich einiges dazugelernt. Während diesen drei Monaten habe ich eine unglaublich intensive Erfahrung durchlebt und mich persönlich stark weiterentwickelt. Und selbst wenn ein Auslandsaufenthalt in Spanien im Endeffekt bei jedem einzelnen anders und individuell aussehen wird, denke ich, dass diese zwei letzteren Punkte für jeden Austauschschüler gelten.